„Wir wollen Menschen mit Beeinträchtigungen einbeziehen, statt sie auszugrenzen“

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Soziales

Landrat Frank Kilian stellt die neuen, ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten des Kreises Anita Seidel und Günter Soukup vor / Die immer noch vorhandenen Barrieren entfernen

Landrat Frank Kilian stellt die neuen, ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten des Kreises Anita Seidel und Günter Soukup vor / Die immer noch vorhandenen Barrieren entfernen

Die UN-Behindertenrechtskonvention von 2008 spricht sich neben der Bekräftigung der Menschenrechte auch für behinderte Menschen dezidiert für deren Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus. Allen Menschen soll die uneingeschränkte Teilnahme an allen Aktivitäten möglich sein. Laut der UN-Konvention soll nicht das negative Verständnis von Behinderung Normalität sein, sondern ein gemeinsames Leben aller Menschen mit und ohne Behinderung. Doch auch 14 Jahre nach der Verabschiedung der Konvention haben Menschen mit Einschränkungen mit unüberwindbaren Barrieren zu kämpfen. „Nur wenige Gaststätten verfügen über eine leicht zugängliche Behindertentoilette, die auch von Rollstuhlfahrern genutzt werden kann. Oder diese befinden sich im ersten Stock – erreichbar über eine Treppe…“, erzählt Anita Seidel mit Unverständnis.

Und Günter Soukup ergänzt: „Der behindertengerechte Zugang zu vielen öffentlichen Gebäuden, wie Museen, Theatern oder ähnlichem, ist der schwierig erreichbare Hintereingang. Wir wollen aber nicht über den Hintereingang in ein Gebäude gelangen!“ Es geht ihm dabei um Wertschätzung, um eine Gleichbehandlung und eine Bewusstseinsänderung: „Viele Menschen ohne körperliche und geistige Beeinträchtigungen nehmen solche Hürde und Barrieren oftmals nicht wahr.“ Zudem sei oftmals der Umgang zwischen Menschen mit oder ohne Beeinträchtigungen belastet: Viele fragten sich: Soll ich helfen oder doch lieber zurückhaltend reagieren? Deshalb betonen Günter Soukup wie Anita Seidel unisono: „Wir wollen Menschen mit Beeinträchtigungen einbeziehen, statt sie auszugrenzen“

Diesen und zahlreichen weiteren Themen werden sich in Zukunft Anita Seidel und Günter Soukup als neue, ehrenamtliche Behindertenbeauftragten des Rheingau-Taunus-Kreises widmen. Es handelt sich dabei um ein „ganz breites Themenportfolio“ und einen sich immer weiter entwickelten Prozess, „an dessen Anfang wir derzeit noch stehen“, betont Landrat Frank Kilian. Mit der Leiterin des Fachdienstes „Eingliederungshilfe“, Simone Lorek, stellt er die Behindertenbeauftragten und deren Aufgaben der Öffentlichkeit vorstellte. Kilian: „Deren Aufgabe ist es, den Menschen mit Beeinträchtigungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und des Weiteren den Rheingau-Taunus-Kreis möglichst barrierefrei zu gestalten.“

Obwohl das Thema Inklusion schon seit einiger Zeit – etwa durch die Einrichtung der Fachstelle Inklusion (FINK) in Geisenheim – größere Aufmerksamkeit im Kreis findet, gebe es noch einige „Baustellen“, die es zu bearbeiten gilt. „Wir müssen uns bewusstmachen, welche Einschränkungen es im Alltag für Menschen mit Behinderungen gibt. Wenn wir diese beseitigen, hilft das natürlich auch vielen anderen Mitgliedern unserer Gesellschaft; etwa älteren Menschen, die mit Rollator unterwegs sind, oder jungen Eltern mit einem Kinderwagen“, sagt Günter Soukup, den viele unter seinem Spitznamen „Sammy“ kennen.

Anita Seidel wie Günter Soukup streben deshalb eine Bewusstseinsänderung an, die bereits bei der Sprache beginnt. Es geht beiden deshalb zu aller erst um „eine Sensibilisierung, statt den Mitmenschen ein schlechtes Gewissen zu bereiten“. „Wir wollen Verständnis für die Lage von Menschen mit Einschränkungen hervorrufen, mit welchen Schwierigkeiten diese im Alltag kämpfen müssen“, betonen Seidel und Soukup, die beide seit vielen Jahren in diesem Bereich tätig sind und deshalb „einen Blick für die Problematik“ entwickelt haben.

Durch ihre vielfältigen Tätigkeiten verfügen beide über einen riesigen Erfahrungsschatz und die notwendige Kompetenz, die sie nun nutzen können, um letztlich Verbesserungen im Alltag für alle Menschen zu erreichen. Und diese Erfahrung lehrt beiden zudem: „Kein Mensch ist davor gefeit, selbst betroffen zu sein, weil beispielsweise ein Unfall passiert.“

So war Soukup, der kurz nach seiner Geburt 1957 an Polio erkrankte, über 20 Jahre als Vertrauensperson der Schwerbehinderten tätig, davon elf Jahre im Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft der Schwerbehinderten in der Landesverwaltung Hessens. Anita Seidel arbeitete u.a. 25 Jahre im Sozialamt der Stadt Wiesbaden. Vier Jahre war sie freigestelltes Mitglied im Personalrat und 15 Jahre gehörte Seidel der Schwerbehindertenvertretung an. Gleichzeitig ist sie im VdK engagiert.

„Wie kann ein Kind, das im Rollstuhl sitzt, selbstständig den Weg von Zuhause in die Schule meistern?“. „Kann es mit dem Rollstuhl das Klassenzimmer in der Schule erreichen?“ „Sind die Haltestellen im Kreisgebiet alle barrierefrei?“ Schwere Türen, die für viele Menschen mit Behinderung oft ein schwer zu überwindendes Hindernis darstellen, obwohl „es nur eines Knopfes als Türöffner bedarf“. Themen, denen Anita Seidel und Günter Soukup intensiv nachgehen wollen: „Bei Bauprojekten können wir unsere Erfahrungen und Ideen mit einbringen, um beispielsweise den barrierefreien Zugang ins Gebäude zu ermöglichen, um auf behindertengerechte Badezimmer oder Eingangstüren zu verweisen, um nur einige wenige Punkte zu benennen.“ Gleichzeitig wollen sie Ansprechpartner für Betroffene und deren Angehörige sein

„Wir beraten gerne Arbeitgeber, wie sie Arbeitsplätze behindertengerecht in ihrem Unternehmer einrichten können“, ergänzt er, um dann das Ziel zu definieren: „Wenn wir den Blick schärfen, unser Bewusstsein ändern, einen sensibleren Umgang mit Menschen mit Einschränkungen pflegen, können wir viel erreichen.“ Es werde zwar, schränkt Soukup ein, „keine 100-prozentige Barrierefreiheit geben“, doch jede Veränderung zum Positiven hin ist wichtig, um allen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben uneingeschränkt zu gewähren.

Sicher sind sich die Behindertenbeauftragten, dass sie das umfangreiche Themenportfolio nicht alleine bearbeiten können. „Wir werden uns – sobald es Corona zulässt – den Bürgermeistern im Kreisgebiet vorstellen und dafür werben, dass es auch in den 17 Kommunen Behindertenbeauftragte gibt.“ Zudem, so Simone Lorek, sollen die Behindertenbeauftragten „ein Ohr in die Bevölkerung haben“, um Anregungen und Verbesserungsvorschläge aufzunehmen und in die Arbeit mit einzubinden. Dafür wollen Soukup und Seidel eine Sprechstunde einmal im Monat anbieten. Der genaue Termin steht noch nicht fest. Die Behindertenbeauftragten sind aber ab sofort über Simone Lorek, Telefon 06124 / 510637, erreichbar.

Foto:
Landrat Frank Kilian und Simone Lorek (links) stellen die beiden ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten des Rheingau-Taunus-Kreises, Anita Seidel und Günter Soukup, vor.

Landrat Frank Kilian und Simone Lorek (links) stellen die beiden ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten des Rheingau-Taunus-Kreises, Anita Seidel und Günter Soukup, vor.