Wir wollen allen Menschen die Teilhabe am gesell­schaftlichen Leben ermöglichen

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Soziales

Landrat Albers: Kreis hat den Demo­grafie-Dialog in Taunus­stein fortgesetzt / Anzug „GERT“ lässt Menschen altern

Landrat Albers: Kreis hat den Demografie-Dialog in Taunusstein fortgesetzt / Anzug „GERT“ lässt Menschen altern

Günter Soukup wird nicht müde, seinen Appell an seine Mitmenschen immer wieder zu wiederholen: „Wir sollen unser Umfeld aus dem Blickfeld eines Menschen mit Beeinträchtigung anschauen!“ Nur so könne es gelingen, Barrieren abzubauen, die Menschen mit Beeinträchtigung den Zugang, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben überaus erschweren, oder sogar ganz verhindern. Denn wer beispielsweise in einem Rollstuhl sitzt, dem bleibt – ohne Hilfe anderer – der Zugang zu einem Konzert oder einem Film in einem Kino oftmals verwehrt. Die Barrieren sind unerklimmbar. Mit engen oder steilen Treppenaufgängen fängt es dann meist schon an. „Es geht um den Abbau von Barrieren“, mahnt dann auch die Moderatorin des Veranstaltung „Fortsetzung des Demografie-Dialogs: Leben und Wohnen“ im Bürgerhaus Taunus in Hahn, Beate Sohl.

„Ziel des Demografie-Dialogs im Kreis ist es, die Bevölkerung für gesellschaftliche und individuelle Barrieren zu sensibilisieren; diese zu erkennen, um dann gemeinsam dazu beizutragen, sie zu verringern und damit Ausgrenzung zu vermeiden“, betont Landrat Burkhard Albers. Ging es zunächst primär darum, älteren Menschen ein Wohnen in ihrer gewohnten Umgebung möglichst lange zu ermöglichen, so hat der Demografie-Dialog das Themenspektrum erweitert. „Wir sind gemeinsam mit unserem Partner, dem Sankt Vincenzstift in Aulhausen, zur Modellregion Inklusion vom Land Hessen ernannt worden“, betont Landrat Albers und verweist auf das Infomobil der mobilen Fachstelle Inklusion, das vor der Halle geparkt ist und am Nachmittag besichtigt werden konnte. „Im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention ist unsere allgemeines Ziel, der weitere Abbau von Barrieren für Menschen mit Beeinträchtigung“, so Albers.

Wie der Abbau von Hindernissen, aber auch die Hilfe und Unterstützung zwischen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung erfolgen kann. Günter Soukup: „Hilfsbereitschaft ist immer gut. Nur, bitte, zunächst fragen und absprechen, welche Hilfe die richtige ist.“ Sonst könne dies manchmal fatale Folgen haben. „Ich wollte als Rollstuhlfahrer in meiner Art einen Bordstein hinauffahren, nehme Schwung und bereite mich auf den Kipp-Vorgang vor. Da merke ich, wie mein Rollstuhl nach hinten gerissen wird und ich mir vorstelle, wie ich in ‚Maikäfer-Stellung‘ lande.“ Ein „netter Mensch“ hatte Soukup helfen wollen. „Ich habe dem Mann gedankt, aber ihn auch gebeten, erst zu fragen, um die Unterstützung zu koordinieren, damit es zu keinen kleinen Unfällen kommt.“

Doch wie fühlen sich eigentlich Menschen, die eine Beeinträchtigung haben? Wie sieht deren Alltag aus? Senioren, die sich etwa wegen einer Krankheit nur noch eingeschränkt bewegen können? Menschen mit Sehbehinderung? In die Rolle eines solchen Menschen schlüpfte der Taunussteiner Bürgermeister Sandro Zehner, als er den Anzug „GERT“ überstreifte. Hinter „GERT“ verbirgt sich eine „Alters-Simulationserfahrung“ der besonderen Art: „Wer den Anzug anzieht, erlebt schnell, was es heißt, ‚Senior auf Zeit‘ zu sein“, erläutert Steffen Jäck von der Mobilen Fachstelle Inklusion.

Hinzu kommen Brillen, die unterschiedliche Seh-Beeinträchtigungen simulieren und Kopfhörer, die die Töne der Umgebung nur sehr leise an das Ohr des Bürgermeisters dringen lassen. Da wird das Öffnen einer Weinflasche zu einem langwierigen Prozess, auch das Einschenken verläuft nicht ganz nach Plan und „mit etwas Verlust“. Dann soll sich Zehner auf den Boden legen und wieder aufstehen. Auch diese Prozedur wird zu einer langwierigen Angelegenheit. Letztlich will der Bürgermeister diese Erfahrungen aber nicht missen, auch wenn er eingesteht, dass er aus Anzug „GERT“ gerne wieder herausschlüpft.

Bürgermeister Zehner hatte in seinem Grußwort zuvor, die gute Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem Rheingau-Taunus-Kreis beim Netzwerk Wohnen gewürdigt. Dem Netzwerk, durch das Kreis-Programm „Rat und Tat kreisweit“ über drei Jahre finanziell gefördert, gehören als „Gründungsmitglieder“ die Städte Taunusstein und Geisenheim an; inzwischen kamen Waldems und Oestrich-Winkel hinzu. Innerhalb des Netzwerkes wurden Wohnberater ausgebildet, die Menschen bei einem barrierefreien und seniorengerechten Umbau des Hauses unterstützen. Die Wohnberater kommen auf Anfrage und geben Tipps, wie etwa ein Bad umgestaltet werden kann. Ziel, so Zehner, müsse es aber letztlich sein, dass schon beim Neubau von Häusern auf Barrierefreiheit und seniorengerechtes Bauen geachtet wird.

Mit Anzug „GERT“ werden alltägliche Tätigkeit zum langwierigen Prozess: Bürgermeister Zehner mit spezieller Brille beim Versuch, eine Flasche Wein zu entkorken. Rechts: Steffen Jäck von der Mobilen Fachstelle Inklusion.