Vorhandene Barrieren auf dem Weg zur Talstation der Seilbahn werden entfernt

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Soziales

„Inklusive Monatsgespräche“: Behindertenbeauftragte des Kreises informiert sich in Rüdesheim über die Fortschritte beim behindertengerechten Umbau

„Inklusive Monatsgespräche“: Behindertenbeauftragte des Kreises informiert sich in Rüdesheim über die Fortschritte beim behindertengerechten Umbau

„Unser Anliegen ist es gerade nicht, mit dem erhobenen Zeigefinger herumzugehen“, werden Anita Seidel und Günter Soukup an diesem sonnigen Tag am Fuße der Seilbahn in Rüdesheim am Rhein nicht müde zu sagen. Vielmehr wollen die beiden Behindertenbeauftragten im Rheingau-Taunus-Kreis den Blick schärfen. „Wir sehen vieles aus einem anderen Blickwinkel, nämlich die des Menschen mit Behinderung. Mit unserem Wissen und unseren Erfahrungen fällt uns natürlich viel mehr auf, an welchen Stelle es an Barrierefreiheit fehlt“, erläutert Soukup, der selbst auf den Rollstuhl angewiesen ist. Für Menschen ohne Handicap stellen Treppen oder Plätze mit einem steilen Anstieg keine Herausforderung dar. Wer aber beispielsweise auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen ist und keinen Begleiter zur Seite hat, stößt schnell an Grenzen; wie derzeit noch beim Zugang von der Oberstraße in Rüdesheim hinauf zum Seilbahn-Gebäude. „Im Rollstuhl komme ich hier nicht hinauf und auch nicht hinunter“, gesteht er und wechselt zu den Gehhilfen, mit denen er sich die Stufen hinaufbewegen kann.

Gemeinsam mit Landrat Frank Kilian waren Anita Seidel und Günter Soukup im Rahmen des vierten „Inklusiven Monatsgespräches“ nach Rüdesheim gekommen. „Wir wollen uns von Geschäftsführer Rainer Orben und Arno Frensch, Betriebsleiter der Seilbahn Rüdesheim, über die Pläne für den barrierearmen Umbau des gesamten Komplexes, den Vorplatz mit Zugang zur Talstation der Seilbahn – sowie die bereits erledigten Teilabschnitte – informieren“, erläutert Landrat Kilian. Der Aufzug im Gebäude ist schon nutzbar. Komplizierter stellt sich die Neugestaltung des Vorplatzes mitsamt dem Zugang dar: „Wir müssen uns den vorhandenen, baulichen Gegebenheiten hier mitten in Rüdesheim anpassen.“

So konnte das Team der Gesellschaft wie das Team der Architekten ihren Ideen nicht – wie bei einem Neubau – gänzlich freien Lauf lassen. So verweist Frensch darauf, dass der behindertengerechte Umbau im Bestand erfolgt: „Das ist Segen und Fluch zugleich. Wir müssen uns an den vorhandenen Gegebenheiten, was Topografie und bauliches Umfeld angeht, orientieren.“ Für die Neugestaltung des Vorplatzes muss beispielsweise ein Höhenunterschied von zirka zwei Meter von der Oberstraße bis zum Kassenbereich überwunden werden. Um einen sicheren Zugang für Rollstuhlfahrer und Menschen mit Rollator zu garantieren, sind erhebliche Erdarbeiten erforderlich. Der Platz soll bis Frühjahr 2023 fertiggestellt sein.

Der Weg für Rollstuhlfahrer verläuft nach dem Umbau in leichten Serpentinen, sogenannten Mäandern, bis hinauf zum Kassenbereich – bei einer reduzierten Steigung beziehungsweise einem Gefälle von 7,5 Prozent, wie Rainer Orben und Arno Frensch erläutern Die zunächst anvisierten sechs Prozent seien bei den örtlichen Vorgaben nicht erreichbar. Der Zu- und Abgang zur und von der Talstation wird somit deutlich erleichtert, schließlich gilt die Seilbahn mit ihren ortsbildprägenden Gondeln hinauf zum Niederwald und der Germania als eine bedeutende, touristische Attraktion. „Die Rüdesheimer Seilbahn ist ein enormer Wirtschaftsfaktor für die Region und eine bedeutende Kultur- und Freizeiteinrichtung“, betont Kilian.

Seit dem Bau der Talstation und der Eröffnung der Anlage 1954, als die Seilbahn den Zahnradbetrieb ablöste, nutzten deutlich über 40 Millionen Gäste die Attraktion, um sanft über den Reben hinauf zum Niederwalddenkmal zu schweben. „Im Jahr 2004 wurde die Kabinen erneuert und den aktuellen Standard angepasst, so dass Rollstuhlfahrer die Fahrt hinauf und hinunter genießen können“, so der Geschäftsführer. Nun geht es um die Optimierung, um einen behindertengerechten Zugang zu gewährleisten.

Mit dem Aufzug geht es schnell in den Bereich, in dem die Gondeln bestiegen werden. Dort befindet sich nach Fertigstellung der Baumaßnahme auch eine behindertengerechte Toilette, deren Zugang Soukup gleich zu Nachfragen und Anregungen animiert. Wie lässt sich die Tür überhaupt öffnen? Wohin öffnet sich die Tür? Nach innen oder außen? Schließlich muss das WC über ein Schloss für den sogenannten, speziellen Euroschlüssel verfügen, um den Eintritt für Menschen mit einer Beeinträchtigung zu erleichtern. Soukup gibt noch weitere Tipps, schlägt Verbesserungen vor, eher er sich mit Frensch über das Thema Evakuierung in einem Notfall bespricht. „Über eine Rampe sollen Menschen mit Rollstühlen und Rollatoren ins Freie gebracht werden“, berichtet der Betriebsleiter. Eine Lösung, die Zustimmung findet. „Wir erkennen und loben ganz ausdrücklich die Bemühungen der Rüdesheimer Seilbahngesellschaft, das Optimum an Barrierefreiheit herauszuholen!“, betonen Soukup und Seidel unisono.

Doch nicht nur auf Menschen mit Gehbehinderung hat sich das Team der Rüdesheimer Seilbahn vorbereitet. Orben: „Wir setzen beim Ein- und Ausstieg aus den Gondeln auf den Faktor Mensch.“ Der sensible Umgang der Mitarbeitenden mit Menschen mit Beeinträchtigung ist oberstes Gebot. Jeweils zwei Mitarbeitende stehen in der Tal- und der Bergstation bereit, um etwa Gästen mit Sehbehinderung, mit Mobilitätseinschränkungen oder mit geistigen Einschränkungen zu unterstützen. Frensch: „Bei Bedarf halten wir die Gondel an, um einen bequemen und ruhigen Zugang zu ermöglichen.“

Geschäftsführer Rainer Orben hofft nun, dass der dritte Bauabschnitt planmäßig im Januar 2023 startet. Dann beginnen die Arbeit am Zugang. Abgeschlossen soll der Umbau zum Start in die Saison 2023 sein; also im Frühjahr. Dann hat die gesamte Maßnahme die Rüdesheimer Seilbahngesellschaft mbH Bayer, Opitz & Co. KG rund 4,3 Millionen Euro an Investitionen gekostet, die sie selbst stemmte. Bereits jetzt kündigten die Behindertenbeauftragten des Kreises, Anita Seidel und Günter Soukup, an: „Wir schauen uns persönlich den barrierearmen Zugang an und nutzen ihn auch!“ Und Landrat Frank Kilian erhofft sich nach dem Umbau die Erschließung weiterer Besuchergruppen.

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Der Einstieg in die Kabine der Rüdesheimer Seilbahn ist behindertengerecht: Problemlos steuerte der Behindertenbeauftragte des Kreises, Günter Soukup, seinen Rollstuhl in die Gondel. Rechts: Betriebsleiter Arno Frensch.

Der Einstieg in die Kabine der Rüdesheimer Seilbahn ist behindertengerecht: Problemlos steuerte der Behindertenbeauftragte des Kreises, Günter Soukup, seinen Rollstuhl in die Gondel. Rechts: Betriebsleiter Arno Frensch.