„Viele von uns haben ein Kind, aber wir alle haben Eltern“

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Soziales

Vereinbarkeit von Beruf und Pflege nimmt weiter an Bedeutung zu / Was können Arbeit­geber tun? / Informations­veranstaltung im Kreishaus

Vereinbarkeit von Beruf und Pflege nimmt weiter an Bedeutung zu / Was können Arbeitgeber tun? / Informationsveranstaltung im Kreishaus

„Viele von uns haben Kinder, aber wir alle haben Eltern“, sagt Dr. Angela Joost und umreißt damit ein Thema, dass in der Arbeitswelt – in Zeiten des Fachkräftemangels – immer mehr an Bedeutung gewinnt und deshalb bei der Personalplanung von kleineren und größeren Firmen in den Fokus gerät. „Es geht um die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege.“ Alleine in Hessen gibt zirka 224.000 pflegebedürftige Menschen, Tendenz steigend. 76 Prozent davon werden zu Hause gepflegt. Was wieder bedeutet: Nahe Angehörige, oft selbst berufstätig, übernehmen diese Aufgabe zu ihren sonstigen Verpflichtungen hinzu. Die Belastung für den Pflegenden, der die Anforderungen im Beruf und die Leistungen zu Hause meistern soll, steigt als Konsequenz.

Um pflegende Angehörige nicht zwischen diesen „beiden Mühlsteinen zu zerquetschen“ hatten die Kreishandwerkerschaft, der Pflegestützpunkt des Rheingau-Taunus-Kreises, das Kreis-Büro für Gleichstellungsfragen und Frauenangelegenheit und das Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft zu einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem Titel „Pflege und Beruf vereinbaren – gesetzliche Regelungen und Unterstützungsmöglichkeiten: Was Unternehmen und Betroffene wissen müssen“ ins Kreishaus nach Bad Schwalbach eingeladen. „Es fehlt mir an notwendigen Informationen, die ich mir hier erhoffe“, so eine Teilnehmerin. Ein Statement, dass Dr. Angela Joost vom Bildungswerk kennt: „Es ist ganz selbstverständlich, dass man sich erst mit dem Thema Pflege einlässt, wenn ein solcher Fall in der Familie akut wird. Trotzdem werben wir dafür, sich möglichst frühzeitig damit zu beschäftigen.“

Denn, so lautet die Erfahrung der Referentin, das Thema gilt als brisant: „Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in ihrem nahen Umfeld eine oder mehrere Personen pflegen, wagen es nicht, offen im Kollegenkreis oder gegenüber dem Chef darüber zu reden, weil sie Unverständnis für ihre Lage, gar Konflikte oder Nachteile befürchten.“ Es gehe deshalb um Kommunikation im Unternehmen, um Transparenz, aber auch um Angebote. Diese bietet gerade auch die hessische Initiative „Beruf und Pflege vereinbaren“. Ziel der Initiative ist es, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen dabei zu unterstützen, damit diese die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege für ihre Beschäftigten besser gestalten können. Die Initiative wurde vom Hessischen Sozial- und Integrationsministerium, der AOK, der „berufundfamilie Service GmbH“ und dem Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft ins Leben gerufen.

Laut der Referentin gab die hessische Initiative einen Praxisleitfaden „Beruf und Pflege vereinbaren – Lösungsansätze und Praxisbeispiele aus Hessen“ heraus und initiierte eine Charta der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege in Hessen für Arbeitgeber. 134 Unternehmen haben diese Charta bereits unterzeichnet; weitere 40 folgen noch in diesem Jahr. Darin heißt es unter anderem: „Wir wollen ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem die Pflege der Angehörigen kein Tabu ist. Wir stimmen darin überein, dass Beschäftigte, die Angehörige pflegen oder betreuen, eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe übernehmen“. Zudem wird zu einer Organisationskultur aufgerufen, die von Respekt und Wertschätzung für die Übernahme der Verantwortung für pflegebedürftige Angehörige geprägt ist.

„Ein weiteres Ziel unserer Arbeit ist die Ausbildung von sogenannten Pflegeguides in den Betrieben, aber auch in Behörden“, berichtete Dr. Angela Joost. Diese sollen die Mitarbeiter beraten und als ein erster Ansprechpartner fungieren, wenn es um Lösungsansätze im einzelnen Fall geht. 189 Pflegeguides in 90 Unternehmen in Hessen gibt es derzeit schon. „Mit den eingeleiteten Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege werden Beschäftigte unterstützt, Fachkräfte gebunden und Arbeitgeber gestärkt“, ist sich die Referentin sicher.

Anschließend informierte Dr. Angela Joost über die gesetzlichen Regelungen, die ein Beschäftigter, der Angehörige pflegt, nutzen kann. Diese reichen von einer kurzfristigen Arbeitsverhinderung bis zu Pflegezeit- und Familienpflegezeit-Maßnahmen. Des Weiteren erwähnte sie betriebliche Ansatzmöglichkeiten. Abschließend informierten Petra Nägler-Daniel und Jürgen Aurand über die Arbeit und die Angebote des Pflegestützpunktes Rheingau-Taunus, der im Kreishaus seinen Sitz hat. Dabei gingen sie auch auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ein.