Katharina Nocun warnt eindringlich davor, „Verschwörungserzählungen zu verharmlosen“

|

Prävention

Renommierte Autorin und Digitalexpertin sprach im Rahmen der Online-Informationsreihe des Kreis-Präventionsrates „Hass im Internet“ über Verschwörungstheorien und den Umgang mit solchen

Renommierte Autorin und Digitalexpertin sprach im Rahmen der Online-Informationsreihe des Kreis-Präventionsrates „Hass im Internet“ über Verschwörungstheorien und den Umgang mit solchen

Sogenannte Verschwörungstheorien haben gerade in Krisen Hochkonjunktur. Zu deren Verbreitung bedurfte es in früheren Zeiten keines Internets und doch kommt dem World-Wide-Web inzwischen eine große Rolle zu. „Es hat die Dynamik der Verbreitung verändert. Früher veröffentlichten Autoren verschwörungsideologische Schriften, an die ein Leser erst gelangen musste. Die Verschwörungserzählungen können heute mit einem kleinen Klick schneller und gleichzeitig an deutlich mehr Menschen rund um den Globus versendet werden – mit fatalen Folgen“, wie Katharina Nocun berichtet. Die renommierte Autorin und Digitalexpertin setzt sich seit vielen Jahren mit dem Phänomen des Aufkommens und der Verbreitung der Verschwörungsmythen auseinander und warnt eindringlich davor, „Verschwörungsideologien zu verharmlosen“. Katharina Nocun gab im Rahmen der Online-Informationsreihe des Kreis-Präventionsrates „Hass im Internet“ nun Tipps und Hinweise, wie mit Verschwörungsmythen und speziell den Ideologen, die für die Verbreitung sorgen, umgegangen werden kann.

Zu Beginn der Online-Veranstaltung, in die sich zirka 40 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer einschalteten, würdigte Landrat Frank Kilian die Leistung der Autorin: „Ich bin überzeugt, dass ihre Vorträge den Nerv der Zeit treffen.“ Sie seien wichtig für die Auseinandersetzung mit Verschwörungstheoretikern. Diese können aber nur positiv verlaufen, wenn wir genauer wissen, „wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen und was gegen solche Verschwörungserzählungen wirklich hilft“. Zu diesen beiden Themen verfassten Katharina Nocun und die Sozialpsychologin Pia Lamberty zwei Bücher mit den Titeln „Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ und „Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft“. Die Thesen griff die Referentin auf.

Die Corona-Pandemie sei „ein perfekter Nährboden für die Verbreitung von Verschwörungsmythen.“ So beschreibt Katharina Nocun, dass sich der Glaube an Verschwörungen quer durch die Gesellschaft zieht und sich in Zeiten der Pandemie besonders schnell radikalisiert. Die Referentin: „Die Aussagen verbreiten sich rasant, denn es sind keine wissenschaftlichen Erkenntnisse nötig, bevor sie verbreitet werden. Menschen sind empfänglich dafür, weil sie intuitiv die Meinung haben, es müsse etwas Großes dahinterstecken.“

Doch was bewegt ganz normale Menschen dazu, an Verschwörungstheorien zu glauben und sich keiner verbalen Auseinandersetzung mit diesen „Fake-Facts“ zu stellen? Woher kommt also dieser unerschütterliche Verschwörungsglaube? „In Krisen verstärkt sich die Angst vor Kontrollverlust. Wenn in Lebenskrisen Halt verloren geht, suchen wir händeringend nach einem anderen Halt“, erläutert die Autorin. Den finden viele dann in Verschwörungsideologien, die geradezu von dem Haltsuchenden aufgesogen und verinnerlicht werden. Nocun weiter: „Wenn man dann das Gefühl hat, dass beim Gegenargumentieren der andere einem gar nicht mehr richtig zuhört, dann muss man sich klarmachen: Das liegt einfach daran, dass ich gerade gegen etwas argumentiere, was dem Gegenüber psychologischen Halt gibt.“ Zumal der „Gegenüber“ bereits „Freunde im Geiste“ und somit Gleichgesinnte gefunden hat.

Katharina Nocun verwies auch auf die Konsequenzen, die ein solches Denken hervorrufen. So sprach die Expertin davon, dass „Verschwörungsmythen Radikalisierungsbeschleuniger sind“. Wer zum Verschwörer, Querdenker, Skeptiker und Leugner wird, verinnerliche ein dualistisches Weltbild, es gebe nur noch die Schwarz-Weiß-Welt, starke Feindbilder und ein fast schon unerschütterliches Gruppengefühl. Dies gehe einher mit der „Immunisierung der Gruppe“, frei nach der Devise: „‚Ich glaube nicht, was in den Medien berichtet wird – die ist Systempresse'. Dieses Denken bringt für Verschwörungsgläubige den Vorteil mit sich, auf kritische Fragen nicht antworten zu müssen.“ Daraus entstehe dann eine Legitimierung zur Anwendung von Gewalt: Gewalt wird als Notwehrhandlung eingeschätzt, weil Engagement im politischen System in der eigenen Wahrnehmung nichts bringt. „Fast alle Attentäter der letzten Jahre haben an Verschwörungstheorien geglaubt – das muss man sich klar machen“, so Nocun.

Im zweiten Teil ihres Vortrags widmete sich Katharina Nocun der Frage, wie man sich auf privater Ebene und als Organisation mit Verschwörungstheoretikern im nahen Umfeld auseinandersetzen kann. Dabei geht es ihr vor allem darum, präventiv zu wirken; um Menschen aufzuklären, wie sie Verschwörungstheorien erkennen und wie sie darauf reagieren können. Nocun ist sich deshalb sicher: „Prävention wirkt!“ Dabei geht es ihr um Aufklärung über typische Maschen von Ideologen, Argumentationstricks, Planspiele, das Erkennen von Scheinzusammenhängen, Training der Medienkompetenz sowie die Erstellung von Handreichungen für Mitarbeiter.

Wie sollte man mit Verschwörungsgläubigen im privaten Umfeld reden? Dazu die Referentin: „Vor Publikum wird man niemanden Radikalen überzeugen können, aber trotzdem sollte man mit Widerspruch ein Signal an umstehende Hörer senden. Überzeugen ist in der Regel nur in einem 4-Augen-Gespräch möglich. „Dabei macht der Ton die Musik“. Man solle zunächst, den Grad der Radikalisierung schrittweise abklopfen und dabei versuchen, den Kontakt auf emotionaler Ebene so lange wie möglich zu halten.“ Diese Aufklärungsarbeit dauere und gleiche „einem Marathon“. Geht man diese Aufklärung zu schnell an, führen solche Gespräche nur zu Aggressionen und emotionaler Belastung. Damit sei nichts gewonnen.