„Heutzutage einen Kredit zu bekommen, wird doch jedem leicht­gemacht“

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Schuldner­beratung von Kreis und ProJob Rheingau-Taunus spricht von einer steigenden Nachfrage / Viele ältere Menschen geraten in die Schulden­falle

Schuldnerberatung von Kreis und ProJob Rheingau-Taunus spricht von einer steigenden Nachfrage / Viele ältere Menschen geraten in die Schuldenfalle

„Heutzutage einen Kredit zu bekommen, wird doch jedem leichtgemacht. Unsere Gesellschaft ist auf Verschulden aufgebaut“, betont Marion Fröhlich, seit 1985 in der Kreisverwaltung für Schuldnerberatung zuständig, und in ihrer Stimme klingt Bitternis mit. „In Innenstädten werden Menschen von Mitarbeitern bestimmter Geldinstitute schon direkt auf der Straße angesprochen, ob sie nicht einen Kredit benötigten und ihnen dann wortreich die Vorteile vorgegaukelt. Da schauen nur die wenigsten in das Kleingedruckte des Kreditvertrages“, erzählt sie aus ihrer täglichen Arbeit. „Für viele ist dann der Weg in die Schuldenfallen fast vorprogrammiert“, so ihre Erkenntnis. Was ProJob-Geschäftsführer Martin Glaub zu der Ergänzung verleitet: „In der Werbung heißt es momentan doch immer 0,0 Prozent oder aktuell sogar Minus-Zinsen, also weniger zurückzahlen, als man sich leiht.“

Solange der Kredit ordentlich getilgt werden kann, ist das auch in Ordnung, „aber wehe, wenn nicht“. Dann werden aus den geliehenen 10.000 Euro – eventuell – durch Verzugszinsen, Gebühren, Einschaltung von Inkassobüros und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ganz schnell mal 20.000 Euro oder mehr, wissen die Experten zu berichten.

In der Schuldnerberatung kennen die fünf Mitarbeiter und die zwei ehrenamtlichen Berater solche Fälle nur zu genau. Mehr als 500 Anfragen zählte die Stelle im vergangenen Jahr. „Wir stabilisieren uns auf hohem Niveau!“ Dies erfolgt trotz der verstärkten Präsenz des Themas in den Medien, in denen ausführlich auf die Verschuldungsfalle aufmerksam gemacht wird. „Es sind Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten und mit den unterschiedlichsten Bildungsgraden, die bei uns ihre letzte Chance sehen, dem Teufelskreis zu entrinnen.“ Zuletzt kamen immer häufiger ältere Menschen, Alleinerziehende, aber auch Flüchtlinge zur Schuldnerberatung, so Michael Jann: „Es sind die klassischen Ursachen, wie Arbeitslosigkeit, Trennung, Krankheit, Scheidung oder einfach ein Auslöser für eine persönliche Krise, die dafür sorgen, dass man den eingegangenen, finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann.“ Bei Flüchtlingen sind neben den sprachlichen Problemen aber auch die Unkenntnis über die Bedeutung von Verträgen und deren Folgen die Ursache für Schulden.

„Zuletzt kam ein Rentner-Ehepaar zu mir, das aufgrund einer gescheiterten Selbstständigkeit Schulden in Höhe von etwa 50.000 Euro hat“, so Fröhlich. Einst waren die Eheleute arbeitslos, wollten aber keine staatlichen Hilfen annehmen. Als ihnen die Gründung einer „Ich-AG“ vorgeschlagen wurde, griffen sie zu; ohne detaillierte Kenntnisse, wie ein solcher, kleiner Betrieb zu führen ist, eröffneten sie diesen. Auf Aufforderungen des Finanzamtes, den Betrag zu begleichen, reagierte das Ehepaar nicht, bis die Pfändung anstand. „Sie kannten auch ihre Rechte und Möglichkeiten nicht.“ Mit Hilfe von Marion Fröhlich wurden beide nun in ein privates Insolvenzverfahren gebracht. „Was so einfach klingt, ist Ergebnis von vielen intensiven Gesprächen mit allen Beteiligten“, ergänzt Martin Glaub.

„Andere gehen im Internet auf große Shopping-Tour und zeigen sich überrascht, welch hohe Ausgaben sich angehäuft haben. Diese stehen jedoch in keinem Verhältnis zum zur Verfügung stehenden Budget“, so Uwe Heun. Ein anderer Klient überraschte Helmut Murr mit einer originellen Aussage: „Das muss ich gar nicht bezahlen, das wird doch vom Konto abgebucht.“ Da spiegele sich der pure Leichtsinn wieder, aber auch eine – von vielen Teilen der Gesellschaft – gelebte Mentalität, die von vielen als Normalität angesehen wird: „Irgendwie bekomme ich meine Schulden schon wieder los.“ Wenn dann die Mahnungen im gelben Umschlag kommen, schließen viele erst einmal die Augen. „Zu uns kommen sie dann mit prall gefüllten Plastiktüten, in denen unzähligen Rechnungen stecken; sogar teilweise nicht geöffnete Schreiben mit Mahnungen.“, berichtet Martina Stephan-Rehor und weiter: „Ein Klient hatte die Rekordzahl von 100 Gläubigern.“

Dann beginnt, die teilweise sehr umfangreiche Arbeit der Schuldnerberater zur Regulierung der Schulden. Uwe Heun: „Wir klären, wie es zu der Verschuldung kam, wie viele Gläubiger es überhaupt gibt, ob diese selbst ihre Forderung geltend machen oder diese bereits an ein Inkasso-Büro weiterveräußert haben.“ Es werden Budgetpläne erstellt und die Ratsuchenden auf die gesetzlichen Möglichkeiten hingewiesen, etwa was ein privates Insolvenzverfahren bedeutet und welche Voraussetzungen hierfür erfüllt werden müssen. Weiterhin wird die Beantragung eines Pfändungsschutzkontos bei der Bank thematisiert. Rund 200 Bescheinigungen für ein solches Konto stellten die Berater 2017 aus.

Wird es die Schuldnerberatung des Rheingau-Taunus-Kreises auch noch in zehn Jahren geben? Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter folgt nur ein stummes Nicken. „Wenn sich in unserer Gesellschaft nichts verändert, es eine Veränderung in der Mentalität gibt, wir weg vom Denken kommen, dass nur möglichst exklusive Statussymbole wie Autos oder Kleidung für das Renommee einer Person stehen, wird es eine Schuldnerberatung noch geben“, so die einhellige Meinung. Und Marion Fröhlich ergänzt: „Eigentlich muss schon im Schulunterricht über das Thema Geld, Kredit und Verschuldung intensiv gesprochen werden.“


Info Schuldnerberatung:
Die soziale Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle bietet Ratsuchenden im Rheingau-Taunus-Kreis individuelle Hilfe bei den Themen Schulden, Verbraucher- insolvenzverfahren und Finanzen. Die Beratung ist kostenlos. Die Mitarbeiter unterliegen der Schweigepflicht.
Sie helfen dabei, die wirtschaftliche Selbständigkeit zu erhalten oder wieder zu erlangen. Ziel ist es, dass verschuldete Personen selbst wieder Ihre finanziellen Angelegenheiten regeln können. Dabei versuchen die Berater neben der Sicherung des Lebensunterhaltes eine möglichst umfassende Schuldenbefreiung zu erreichen. Termine nach Vereinbarung. Kontakt unter 06128 9147 60, -61, -62, -63, oder -64.

Michael Jann, Martina Stephan-Rehor, Marion Fröhlich und Uwe Heun von der Schuldnerberatung des Kreises.