Es gibt nicht mehr das einheitliche Bild von dem Kind

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Jugendhilfe, Jugendförderung

Jugendhilfe-Dezer­nentin Monika Merkert stellt Modellprojekt „Schul­sozialarbeit an Grundschulen“ vor / Von Helikopter-Eltern bis zum Kind als Partner / Erziehung hat sich verändert

Jugendhilfe-Dezernentin Monika Merkert stellt Modellprojekt „Schulsozialarbeit an Grundschulen“ vor / Von Helikopter-Eltern bis zum Kind als Partner / Erziehung hat sich verändert

„Es gibt nicht mehr das einheitliche Bild von dem Kind“, sagt Xenia Posch, Schulleiterin an der Astrid-Lindgren-Schule in Aarbergen: „In der Grundschule haben wir in unseren Klassen oftmals 25 Einzelindividuen mit ganz unterschiedlichen Biografien und Charakteren, auf die eine einzelne Lehrerin eingehen muss.“ Kinder werden heutzutage ganz unterschiedlich erzogen. Es gibt etwa Eltern, die ihrem Kind alle Freiheit lassen: „Wenn mein Kind nicht will, muss es keine Mathematik machen. Sie sehen ihre Kinder als gleichberechtigte Partner am und überlassen ihnen die Entscheidungen.“ Das Gegenteil stellten die „Helikopter-Eltern“ dar, die ihren Kindern keine Chance zur Selbst-Entfaltung ermöglichten. „Wir haben Schüler, die sich mit ihren sieben, acht Jahren selbst organisieren, morgens alleine aufstehen müssen und sich das Frühstück selbst machen, weil die Eltern dazu nicht in der Lage sind“, berichtet die Schulleiterin, die auch klarstellt: „Ich will keiner Verallgemeinerung das Wort reden. Nicht jedes Kind hat ein Problem. Doch die Zahl nimmt zu.“

In den Grundschulen gebe es unter den Sechs- bis Zehnjährigen schon viele „extreme Individualisten“ mit unterschiedlichen Problemlagen, einem differenzierten, sozialen Verhalten, was wiederum in der Folge zu heterogenen Klassenverbänden führe. „Es gibt auch die leisen und zurückhaltenden Kinder, um die sich die Lehrerin natürlich auch kümmern muss, damit diese in der Klasse nicht untergehen“, so die Erfahrung der Schulleiterinnen. Gleichzeitig ließen Eltern schon den Fünfjährigen Gewaltspiele auf der Play Station spielen, „der dann natürlich meint, dass Konflikte ausschließlich mit Gewalt gelöst werden“. „Unsere Lehrerinnen und Lehrer gelangen wegen der Unterschiedlichkeit der Kinder in ihren Klassen an ihre Grenze, an ihr Limit, benötigen professionelle Hilfe“, betont Ute Hartung, Leiterin der Wisperschule in Lorch, die in ihrer Schule zudem 45 Kinder mit Migrationshintergrund betreuen muss.

Xenia Posch ist ebenso wie ihre Kollegin Ute Hartung davon überzeugt, dass es wegen solcher Situationen der Unterstützung durch die Schulsozialarbeit bereits ab der Grundschule bedarf. Gemeinsam mit Kreis-Jugendhilfe-Dezernentin Monika Merkert stellten die beiden Schulleiterinnen sowie die Mitarbeiterinnen der Schulsozialarbeit Melanie Hiller und Jill Jegutzki das Modellprojekt „Schulsozialarbeit an Grundschulen“ der Öffentlichkeit vor. Monika Merkert: „Sehr viele Eltern äußerten zuletzt vermehrt ihren Wunsch, dass die Schulsozialarbeit auf die Grundschulen ausgeweitet wird.“ Mit dem Modellprojekt an beiden Grundschulen, das zu Schuljahresbeginn 2018 startete und zwei Jahre dauert, will der Kreis nun Erfahrungen sammeln.

Die Grundschulen in Lorch und Aarbergen wurden aufgrund der höchsten Fallzahlen in der Jugendhilfe ausgewählt. Auswahlkriterien war unter anderem der Anteil an alleinerziehenden Elternteile, bzw. die Quote der beantragten Erziehungshilfe. Wie die Jugendhilfe-Dezernentin betont, ist das Modellprojekt in die Gesamtstruktur der Schulsozialarbeit eingebunden, wobei als Träger die vom Kreis beauftragte Soziale Arbeit gGmbH der Arbeiterwohlfahrt fungiert. „In dieser Phase wollen wir ein auf die Erfordernisse der Grundschulen abgestimmtes Konzept entwickeln“, so Monika Merkert.

Schulsozialarbeit will sie somit als Jugendhilfe vor Ort verstanden wissen. „Der Kreis unterbreitet damit ein offenes und präventives Angebot, das nicht erst bei einer Kinderwohlgefährdung zum Tragen kommt“, ergänzt die Leiterin des Kreis-Jugendamtes, Liane Schmidt. Melanie Hiller sieht Schulsozialarbeit als eine Art Hilfestellung für alle Beteiligten, in einer Grenzsituation zwischen Erziehung und Lernen.

Weil die Mitarbeiterinnen der Schulsozialarbeit als „neutrale Personen“ von Schule, Eltern und Jugendamt anerkannt werden, weil sie eine Schweigepflicht haben, erhalten sie eine Vertrauensstellung und sind so eine wichtige Kontaktperson. Kinder können die sozialpädagogischen Angebote nutzen, wovon schon jetzt rege Gebrauch gemacht wird. Zudem gelang es, in Lorch ein Eltern-Café einzurichten. Jill Jegutzki: „Manche Eltern sehen Schule noch als Feind an, scheuen den Kontakt zur Schulleitung oder zu den Lehrern. Da können wir beratend eingreifen und bei der Lösung von potenziellen Problemen, bei Fragen der Erziehung oder bei der Bewältigung von Krisen und Konflikten helfen.“ Diese Angebote zum Gespräch nehmen alle Beteiligten gerne wahr, um den fachlichen Rat einzuholen. Xenia Posch: „Wir können über ein Kind mit einem sozialen Verhalten offen sprechen, um Lösungen zu finden, von denen alle schlussendlich profitieren.“

An der Wisperschule hat Melanie Hiller zudem eine AG „Soziales Lernen“ eingerichtet, denn „Sozialverhalten lernt man nicht in wenigen Stunden“. Warum wird ein Mitschüler ausgegrenzt, gemobbt? Wie kann ich darauf richtig reagieren? Solche Themen werden in der AG behandelt und mit den Schülerinnen und Schülern Lösungen erarbeitet. Oftmals stellen die Experten auch „eine andere Gewaltbereitschaft“ fest. „Früher hat man sich selbstverständlich auch ‚gekloppt‘, aber dann auch aufgehört und nicht mehr auf eine wehrlose Person, den am Boden Liegenden eingeschlagen. Das ist heute oft anders.“ Solches Fehlverhalten zu korrigieren, darin sieht Schulsozialarbeit eine Aufgabe.

Für Xenia Posch und Ute Hartung steht schon jetzt fest: „Wir als Schulleitung und Lehrerkollegium merken bereits die Entlastung durch das Engagement und den Einsatz der beiden Schulsozialarbeiterinnen.“ Sie können regulierend eingreifen, sehr fokussiert auf einen Schüler, eine Schülerin eingehen und mit ihrem professionellen Wissen „auf das Kind mit seinen speziellen Problemen eingehen.“

Vorstellung des Modellprojekts „Schulsozialarbeit an Grundschulen“.