„Die ernste Lage auf dem Arbeitsmarkt“ fordert rasches, aktives Handeln

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Landrat Kilian: Auftaktveranstaltung zur Erstellung einer Ausbildungs- und Arbeitsmarktstrategie für den Rheingau-Taunus-Kreis / Baby-Boomer-Generation geht in den kommenden Jahren sukzessive in den Ruhestand

Landrat Kilian: Auftaktveranstaltung zur Erstellung einer Ausbildungs- und Arbeitsmarktstrategie für den Rheingau-Taunus-Kreis / Baby-Boomer-Generation geht in den kommenden Jahren sukzessive in den Ruhestand / Nachfrage nach Arbeitnehmern steigt

Das Fallen einer Stecknadel hätte man - wegen der absoluten Stille - im Saal der Silberbachhalle hören können, als Dr. Christa Larsen über „die ernste Lage auf dem Arbeitsmarkt“ des Rheingau-Taunus-Kreises referierte. Mit vielen spannenden und detaillierten Zahlen für einzelne Wirtschaftsbranchen unterlegt, berichtete sie über prognostizierte Veränderungen am Arbeitsmarkt des Kreises im Zeitraum zwischen 2020 und 2024 sowie bis 2030. Die Lücken, die jene hinterlassen, die in den kommenden Jahren aus dem aktiven Berufsleben ausscheiden, wird immer größer, so das Fazit von Dr. Larsen.

„Schon seit 2017 fehlen im Rheingau-Taunus-Kreis über 5.000 Arbeitskräfte, etwa zehn Prozent der aktuellen Beschäftigten; davon 3.990 Menschen mit einer Berufsausbildung, 800 mit Hochschulabschluss und etwa 450 Auszubildende“, rechnet Dr. Christa Larsen, Leiterin des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK Institut) an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main vor. Und die Zahlen schnellen weiter in die Höhe: „2022 gibt es einen sogenannten altersbedingten Ersatzbedarf von 9.040 Personen und im Jahr 2024 von 10.130 Menschen.“ Dem gegenüber stehen laut Prognose aber nur 6.680 Bewerber, die in den Arbeitsmarkt hineinströmen.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und mit geeigneten Maßnahmen gegenzusteuern, erstellt der Kreis eine Ausbildungs- und Arbeitsmarktstrategie, betont Landrat Frank Kilian. „Der Fachkräftemangel ist ein Thema, das uns unter den Nägeln brennt“, so Landrat in seiner Begrüßungsrede. Da es auch an Bewerbern für die angebotenen Ausbildungsplätze fehlt, gleichzeitig aktuell aber 171 Jugendliche als arbeitslos gemeldet sind, müsse genau geschaut werden, warum diese Jugendlichen keine Stelle gefunden haben. Kilian: „Wir haben eine soziale Verantwortung gegenüber all jenen, die entweder einen Ausbildungsplatz oder einen Job suchen und wir haben genauso eine Verantwortung gegenüber unseren Unternehmen, die Arbeitskräfte benötigen.“ Zudem richtete der Landrat den Fokus auf die Folgen des Demografischen Wandels.

Begriffe, die Dr. Christa Larsen in ihrer Präsentation aufgriff und mit Zahlen unterlegte. Gleichzeitig räumte sie mit einer „altbewährten Gesetzesmäßigkeit“ auf: „Früher galt bei Wirtschaftswachstum eine steigende Nachfrage nach Arbeitskräften. Der Treiber für neue Arbeitsplätze wird in Zukunft nicht mehr Wachstum sein.“ Der Bedarf an Arbeitskräften entkoppelt sich dann, die Nachfrage bleibt auch in ökonomisch schwierigen Zeiten hoch. Ein Grund dafür: „In den kommenden Jahren gehen viele Arbeitnehmer der sogenannten Baby-Boomer-Generation - von 1958 bis zirka 1964 - in den Ruhestand. Hinzu kommt, dass bis 2024 1.600 Personen krankheitsbedingt vor dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters aus dem Beruf scheiden“, so die Prognose. In der Konsequenz bedeutet das, dass es zu einer weiter steigenden Nachfrage an Personal im Pflegebereich kommen wird.

Die entstehende Lücke auf dem Arbeitsmarkt ist aber auch für viele weitere Berufsgruppen und Branchen mehr als bedrohlich. Berufskraftfahrer für hiesige Logistikbetriebe, „ein stark expandierender Bereich“, fehlen ebenso wie Informatiker, Reinigungs- und Verkaufskräfte sowie für Berufe im Tourismus des Rheingau-Taunus-Kreises. Auch für die Verwaltung prognostiziert das IWAK-Institut fehlende Arbeitskräfte. „Man kann nicht eine Lösung für alle Berufe finden. Vielmehr gilt es, passgenaue Maßnahmen zu erarbeiten“, betonte die Leiterin des IWAK-Instituts. In einigen Branchen müsse verstärkt ausgebildet werden. In einer anderen müssten die Unternehmen attraktiver für Bewerber werden. Ein weiterer Vorschlag lautete: „Passgenaue Qualifizierungen für Arbeitslose anbieten, damit sie für Berufe mit großem Nachfragepotenzial geeignet sind.“

Gleichzeitig mahnt die Referentin: „Die Zeit zum raschen und aktiven Handeln ist gekommen.“ Aber sie weist auch auf eine mögliche Zielgruppe hin: die Studienzweifler. Aus eigener Erfahrung weiß Dr. Larsen, dass „es in unserer Gesellschaft eine Akademisierung gibt“. Die Referentin: „Eltern wollen, dass ihre Kinder studieren, deshalb strebt ein sehr großer Teil unserer Jugendlichen in Universitäten. Schnell wird vielen klar, dass sie den Abschluss nicht schaffen können. Den ‚Studienzweiflern‘ muss man deshalb attraktive Angebote für die berufliche Entwicklung mit Aufstiegschancen unterbreiten.“ Möglichkeiten bieten dabei auch die Dualen Studiengänge, die in Hessen erst sehr spät angeboten wurden. Dr. Larsen: „Dadurch können wir junge Menschen in der Region halten, ihnen einen attraktiven Arbeitsplatz mit Aufstiegschancen in renommierten Unternehmen vor Ort bieten und ihrem Wunsch nach einer Akademisierung auch noch nachkommen.“

Abschließend verwies die Leiterin des IWAK-Instituts darauf hin, dass es zu viele Auspendler gibt, die viele Stunden auf der Straße verbringen, um zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen. Und sie gibt einen Hinweis: „Wer kennt die Unternehmen im Kreis? Es muss besser kommuniziert werden, welche attraktiven Arbeitgeber sie im Rheingau-Taunus-Kreis haben, welche interessanten Jobs hier angeboten werden. Schließlich benötigt die Region viele neue Köpfe, um die prognostizierte Lücke auf dem Arbeitsmarkt zu schließen.“

Daran und an der Erstellung einer Ausbildungs- und Arbeitsmarktstrategie arbeitet der Landkreis nun gemeinsam mit Unternehmern, den Kammern und dem Kommunalen JobCenter Rheingau-Taunus-Kreis. Nach der Auftaktveranstaltung in Taunusstein für den Untertaunus gibt es eine weitere (für den Rheingau) in Oestrich-Winkel am Donnerstag, 7. November 2019, 10.00 Uhr, in der Brentanoscheune in Winkel.